2020: Die Direktorin der Bürgerstiftung Tuzla schaut zurück

Jasna Jasarević leitet die Bürgerstiftung Tuzla (FTZ) seit dem Jahr 2004 und sieht ihren Erfolg in der Entwicklung der Stiftung. Dabei hat sie eine Umgebung geschaffen, in der hohe moralische Werte und Arbeitstransparenz gepflegt werden. Jasna Jasarević hat die Bürgerstiftung inzwischen zu einer für Bosnien einzigartigen Stiftung entwickelt, die ihre Tätigkeit auf den ganzen Kanton ausgeweitet und Partnerorganisationen in ganz Bosnien hat. Die Bürgerstiftung ist schon seit Jahren ein Synonym für die Unterstützung von Bürger*innen und Vereinen der Zivilgesellschaft, vor allem von jungen Menschen, die so ihre Initiativen im Interesse der Gemeinschaft und der Schaffung von besseren Lebensbedingungen verwirklichen können. Am Ende des Jahres 2020 mit seinen nicht vorhersehbaren Entwicklungen sprachen wir über Resultate, Ideen und Zukunftspläne.


Selbst in dieser unglücklichen Zeit der Pandemie, in der sich die Lebensart vollkommen geändert hat, haben Sie erfolgreich die Durchführung Ihrer Aktivitäten weitergeführt und versucht auf die Bedürfnisse der Gemeinwesen zu reagieren. Schon im ersten Monat der Pandemie haben Sie die Kampagne „Solidarisch gegen das Coronavirus“ gestartet. Konnte diese schnelle Reaktion erfolgreich die Folgen der Pandemie bei den Marginalisierten verringern?


Gerne würde ich sagen, dass wir unsere Aktivitäten problemlos weitergeführt haben, aber es war leider nicht so. Ein Programm, welches wir in den Schulen im Kanton umsetzten, mussten wir wegen der Pandemie stoppen, und wir verloren zwei gute Mitarbeiter. Was uns allerdings wichtig war in dieser Krise, war, dass wir schnell reagieren und auf die aktuellen Bedürfnisse der Gemeinschaften eine Antwort finden. Durch unseren Solidaritätsfonds starteten wir die Kampagne „Solidarisch gegen das Coronavirus“. Durch Einzelspenden, Spenden lokaler Firmen, Unterstützung aus dem lokalen Budget und von internationalen Geldgebern und durch Nutzung unserer Plattform „doniraj.ba“ haben wir fast 100.000 KM (50.000 €) gesammelt, um die Folgen der Pandemie zu verringern. Diese Mittel haben wir für die Förderung der medizinischen Mitarbeiter*innen der Klinik in Tuzla, der Notaufnahme des Gesundheitszentrums Tuzla und noch anderer Notaufnahmen im Kanton Tuzla verwendet. Gemeinsam mit unseren Partnern in Kiseljak haben wir in der Romagemeinschaft warmes Essen verteilt. In der Grippesaison konnten wir mit Hilfe der deutschen Botschaft 21 Schulen im Kanton helfen. Und mit der Hilfe des Open Society Found und der Stadt Tuzla konnten wir über hundert Frauen helfen, die ihre Arbeit verloren hatten. Wir haben also wirklich maximale Anstrengungen unternommen, unseren Beitrag zu leisten und so viel zu helfen, wie es in unseren Möglichkeiten liegt. Daneben haben wir geplante Aktivitäten fortgeführt.


Die Menschen verbinden die Bürgerstiftung vor allem mit finanzieller Hilfe, aber Sie sagen oft, dass die Stärke der Stiftung in den Menschen liegt und im Zusammenschluss lokaler Ressourcen. Wie entwickelt die Bürgerstiftung Gemeinschaften? Endet Ihre Arbeit dann, wenn eine Zuwendung für eine Bürgerinitiative vergeben wurde?


Wichtig für unsere Arbeit ist, dass wir nahe an den Bürger*innen sind, dass wir bei den Vereinen und Organisationen sind, die vor allem ehrenamtlich arbeiten, die mit ihrem Einsatz etwas für das Gemeinwesen leisten. Eine Zuwendung ist nur ein Werkzeug der Unterstützung, sie ist nicht das Ziel. Sie ermöglicht es uns, dass wir das bürgerschaftliche Engagement fördern, das in dem Moment am wichtigsten ist, und das von den Vereinen und Bürgergruppen bewältigt werden kann. Unser Ziel ist, durch unsere recht kleinen Zuwendungen eine Tür zu öffnen, sodass die Arbeit der Gruppen, deren Projekte und Ideen noch bekannter werden und zu einer neuen Zusammenarbeit und anderer Förderung führen. Wir arbeiten an ihrer Stärkung und Ermutigung, sodass sie die Projekte besser managen, die Bürger*innen besser organisieren, die Mitgliedschaften stärken, dass sie sich entschiedener an die Behörden wenden und den Kreis ihrer Spender*innen und Freund*innen vergrößern, um so die Lebensumstände vor Ort zu verbessern.
Mit ihnen teilen wir unsere Gedanken über die Demokratie, über Marginalisiserung, über Recht und Unrecht, über Bedürfnisse und Lösungen. Erst wenn wir gemeinsam dahin kommen, dass wir eine große Zahl von zufriedenen und erfüllten Bürger*innen haben, von solidarischen und empathischen Bürger*innen, werden wir auch schnell eine gerechte und demokratische Gesellschaft haben.


In welcher Höhe hat die Bürgerstiftung im Jahr 2020 wie viele bürgerschaftliche Initiativen unterstützt?


In diesem, für uns alle schwierigen, Jahr bin ich glücklich, dass wir trotzdem über 150 Initiativen fördern konnten, und wir haben über 100 Einzelfallhilfen verteilt. Der Wert der Unterstützung beläuft sich auf fast eine halbe Million KM (fast 50.000 €). Doch die Förderung in den Gemeinden ist noch höher, wenn man all die ehrenamtliche Arbeit und die zusätzliche Finanzierung durch die Aktivist*innen dazu zählt. Das muss wirklich erwähnt werden, denn es zeigt, wie aktiv der zivile Sektor ist und wie viel er zu unserer Gesellschaft beiträgt, trotz all der Herausforderungen, vor allem während der Pandemie.


In der Öffentlichkeit besteht immer noch ein großes Misstrauen gegenüber der Arbeit des zivilen Sektors. Was ist der Grund dafür, und wie wollen Sie dies überwinden?


Die Wahrheit ist, es besteht Misstrauen. Das beruht jedoch mehr auf unzureichenden Informationen über die Arbeit des zivilen Sektors im Kanton Tuzla und dem gesamten Staat. Vertrauen wird dann wachsen, wenn wir klare und präzise Informationen über die Aktivitäten, Resultate und Budgets der Vereine und Stiftungen geben. Wir setzen uns dafür ein, dass in die Entwicklungsstrategie des Kantons Tuzla von 2021 bis 2027 eingefügt wird, dass das bestehende Register der Vereine überarbeitet und die Zahl der aktiven Vereine im Kanton bestätigt wird, auch derjenigen, die auf noch höherem Niveau registriert sind, aber im Kanton Tuzla wirken. Das ist sehr wichtig für den gesamten zivilen Sektor, weil deren Arbeit dann besser begleitet werden kann, nicht nur im Sinn von Kontrolle, sondern auch um Erkenntnise darüber zu gewinnen, welche Rolle der zivile Sektor beim Schutz der Benachteiligten in der Bevölkerung hat, in Zusammenarbeit mit den internationalen und lokalen Partnern und Geldgebern. Das sind einige der ersten Schritte, um eine gute Umgebung für die Zusammenarbeit der Sektoren zu schaffen, und das ist eine der Voraussetzungen für die Entwicklung einer demokratischen Gesellschaft und eine erfolgreiche europäische Integration.


Lokale Stiftungen auf der ganzen Welt werben für Philanthropie und erzielen Spenden für die Lösung sozialer Probleme und Entwicklungsinitiativen. In diesem Sinn hat die Bürgerstiftung die Plattform doniraj.ba entwickelt, aber Sie sagen, dass deren Entwicklung erst beginnt. Wie stellen Sie sich das in Zukunft vor?


Die Plattform doniraj.ba entwickeln wir seit zwei Jahren mit internen Ressourcen, um noch ein funktionales Werkzeug für all die guten Menschen zu schaffen, die spenden wollen, aber auch für die Organisationen und Einzelpersonen, die Unterstützung für ihre Ideen und Initiativen benötigen. Diese Plattform ist ein hervorragendes Werkzeug, um transparente individuelle Philanthropie zu entwickeln, bzw. zur gemeinsamen Sammlung von Spenden für Menschen, die im Land oder im Ausland wohnen. Sie ist verlässlich und einfach zu nutzen, transparent und sicher für die Spenden, egal aus welchem Land. Wir haben sie so erdacht, dass jeder, der eine Spendenkampagne organisieren will, sich registrieren kann als Organisation oder Einzelperson und sein Projekt der Öffentlichkeit vorstellen. Im Unterschied zu anderen Crowd-Funding-Angeboten im Land, muss man bei uns für die Bankgebühren und die Sicherheitsleistungen nur 2 % zahlen, das ist viel weniger als bei anderen Spendenplattformen, die zwischen 10 % und 15 % nehmen.


Sehr oft sagen Sie, dass sich die Wahrnehmung von Philanthropie in der bosnischen Gesellschaft ändern muss, weg von der Sicht, dass es Spenden für humanitäre Aktivitäten sind, hin zu Investitionen für die Zukunft, als Grundlage für Entwicklung und für die Aufrechterhaltung des zivilen Sektors in Bosnien und Herzegowina. Woran denken Sie konkret dabei? Sollen wir als Einzelpersonen nicht für humanitäre Zwecke spenden?


Leider sind wir eine arme Gesellschaft und das Sammeln von Mitteln für die Behandlung von Kranken ist unsere Realität. Wir müssen solidarisch sein und helfen, aber was mich schmerzt, ist, dass dies kurzfristige Lösungen sind. Falls wir bei dieser Sicht von Philanthropie stehen bleiben, wird dieses Land nie aus dem Teufelskreis von Armut und Abhängigkeit herauskommen. Philanthropie muss in Bosnien und Herzegowina ein anderes Gesicht bekommen. Wir müssen schon jetzt anfangen, in Lösungen zu investieren, die auf systematische Art die Anzahl der Menschen verringert, die in extremer Armut leben und die Zahl der Menschen, die von humanitärer Hilfe leben. Wir setzen uns dafür ein, dass die Spenden für Aktivitäten von Organisationen aufgewendet werden, die an Lösungen arbeiten, die Lobbyarbeit in Richtung Regierung machen und die versuchen, die Stellung der Armen und Kranken systematisch zu verändern, also diejenigen, die mit Menschen mit Behinderung arbeiten, die Schutzhäuser leiten, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, um deren Fähigkeiten zu stärken und positive Werte pflegen, diejenigen die jungen Menschen Stipendien geben, die morgen die Demokratie entwickeln, die die Rechte aller respektieren und die Fähigkeiten für das 21. Jahrhundert haben. Wir rufen die Bürger*innen Bosnien und Herzegowinas auf, egal wo sie sind, für eine bessere Zukunft und für die Entwicklung unserer Gesellschaft zu spenden, und zwar auf eine gemeinsame, systematische und transparente Art.


Die durchschnittliche Spende eine*r Bürger*in im Jahr 2019 belief sich auf etwas mehr als 7 KM (3,50 €). Ist es fair von Bürger*innen, die generell in schwierigen sozio-ökonomischen Umständen leben, zu erwarten, dass sie Spender*innen sind?


Es spendet nicht die Person, die Geld hat, sondern diejenige, die daran gewöhnt ist. Von demjenigen, der kein Geld hat, ist es viel, eine Mark zu verlangen, aber wir denken, dass die Bürger*innen von Bosnien, trotz der schwierigen Situation, im Rahmen ihrer Möglichkeiten geben können, und ich glaube, dass sie jährlich mehr geben als die Zahl, die Sie gesagt haben. Allerdings wollen viele nicht erwähnen, dass sie spenden und auch nicht, wem sie spenden. Nehmen wir mal an, dass es im Kanton Tuzla 100.000 Beschäftigte gibt und sagen wir, dass jede*r jährlich 10 KM (5 €) gibt, auf eine transparente und öffentliche Art, so könnten wir mit unseren Entwicklungsfonds aus systematische Weise 1 Million KM (500.000 €) in Bürgerinitiativen investieren, und das jedes Jahr. Stellen Sie sich vor, welche Veränderungen aktive Bürger*innen damit bewirken könnten. Wir werden an der Verwirklichung dieser Vision arbeiten und hoffen, sie langfristig auch denen zu übertragen, die später die Stiftung leiten werden. Eine Stiftung, die die Bürger*innen bei der Entscheidung über die Verteilung der Zuwendungen mit einbezieht, und die eine Zusammenarbeit zwischen den Sektoren gestaltet, um systematische Veränderungen zu bewirken.


Spenden Sie als Bürgerin? Welche Initiativen unterstützen Sie privat? Und wie begleiten Sie die Veränderungen, die Ihre Spenden bewirken?


Ja, klar spende ich, soviel wie in einem bestimmten Moment möglich ist. Im Rahmen der Bürgerstiftung haben wir unseren Stiftungsfonds und in diesen zahle ich jeden Monat eine bestimmte Summe ein. Damit bewirke ich, dass unsere Stiftung besteht, auch wenn wir alle nicht mehr da sind. Wir alle in der Stiftung nehmen mit unseren Spenden an verschiedenen Kampagnen teil, nicht nur denjenigen, die wir ins Leben rufen, sondern auch von anderen Organisationen. Ich mache das meist anonym, aber weil es meine Arbeit ist, dass ich die Menschenliebe auch anderen weitergebe, so mache ich es auch sichtbar mit meinen kleinen aber wertvollen Spenden. Die Nutzung der Spenden zu begleiten ist sehr wichtig für mich, nicht, weil ich jemandem misstraue, sondern weil so eine vertrauensvolle Beziehung entsteht, die man weiter stärken und aufbauen kann.

Das Interview wurde übernommen von:
https://tuzlanski.ba/carsija/izvrsna-direktorica-fondacije-tuzlanske-zajednice-uprkos-pandemiji-ulozeno-pola-miliona-maraka-u-gradjanske-inicijative/

Übersetzung von Monika Kleck

Bilder: Bürgerstiftung Tuzla