Zerfällt Bosnien? Ein Beitrag von Monika Kleck So lautete in den letzten Monaten die Überschrift vieler Zeitungsartikel. Kein Wunder, Milorad Dodik, der Präsident der serbischen Republik proklamiert bei jeder Gelegenheit,…
SREBRENICA
Blog #2 10.07.2022 Autorin: Dr. Monika Kleck SREBRENICA am 11. Juli 2022 jährt sich der Fall von Srebrenica zum 26. Mal. Der Tag ist verbunden mit der Ermordung von 8372…
Von damals bis heute
Bosnien-Balkan-BlogDieser Blog soll die aktuellen Ereignisse und Entwicklungen in Bosnien und Herzegowina verfolgen, analysieren, kommentieren, bewerten. Ein Blog über Bosnien ist nicht möglich, ohne auch die anderen Balkanländer im Blick…
So lautete in den letzten Monaten die Überschrift vieler Zeitungsartikel.
Kein Wunder, Milorad Dodik, der Präsident der serbischen Republik proklamiert bei jeder Gelegenheit, dass er eine Abspaltung der serbischen Republik plant und danach einen baldigen Anschluss an Serbien. Die kroatischen Seite argumentiert damit, dass sie ständig benachteiligt sei und will eine dritte Entität. (Notiz am Rande: bei der Beteiligung in Ämtern sind die Kroat:innen definitiv nicht benachteiligt)
Aus meiner Erfahrung in Tuzla, einer Stadt in der das Zusammenleben immer noch relativ gut funktioniert, habe ich dies lange als politische Propaganda empfunden.
Diese Jahr dann, als Dodik mit konkreten Abspaltungsschritten begann und Putin eine Spaltung Bosniens als Triumph über den Westen sehen würde, schien die Gefahr auf einmal wesentlich größer und konkreter. Gleichzeitig brachte der Krieg in der Ukraine neue positive Aufmerksamkeit für das Land. Endlich scheint sich die internationale Gemeinschaft wieder zu kümmern. Verschiedenste Staatsoberhäupter besuchten Bosnien und die Region, Dodik wurde in seinen Bestrebungen zurückgedrängt.
Nun stehen Wahlen an. Am 2. Oktober werden die Staatspräsidenten, das Abgeordnetenhaus, die Entitätsparlamente und -präsidenten, die Kantonsparlamente gewählt. Unter diesen Voraussetzungen ist natürlich kein fairer und konstruktiver Wahlkampf zu erwarten. Wie immer geht es nicht um eigene Programme, um Diskussionen von Werten, Aufbau und Entwicklung, sondern nur um den Schutz der eigenen Ethnie, die aufgebauschte Drohung durch die anderen Ethnien, Angstszenarien beherrschen die Szene. Eine Stimme in Bosnien drückte es einmal so aus: „wir haben gelernt, dass unsere Ethnie wichtiger ist als ein EU-Beitritt und fortschrittliche Entwicklung“. Interessant ist, dass es bei den Wahlen 2018 nicht gelang, eine Regierung der Föderation zu bilden, so dass die Regierung aus dem Jahr 2014 noch im Amt ist. Ob es diesmal gelingt, eine tragfähige Koalition zu schmieden, die nicht boykottiert wird, ist äußerst ungewiß.
Dennoch: mit der üblichen alten Wahlkampfmasche und der gleichzeitigen erhöhten internationalen Aufmerksamkeit, war mein Gefühl, dass am Ende nichts passieren wird.
So richtig Nachdenklich gemacht haben mich allerdings die Schlagzeilen der Woche vom 12. - 18.9.2022 . Auf der Einen Seite reiste der kroatische Präsident durch Bosnien und an mehreren Stellen leugnete er in seinen Reden, dass es in Srebrenica einen Genozid gegeben hätte. Gleichzeitig forderte er, dass im Rahmen der EUFOR Mission auch kroatische Soldaten nach Bosnien gesandt werden (dabei waren kroatische Soldaten in Kriegsverbrechen in Bosnien verwickelt). Und immer wieder die Forderung das Wahlgesetz zu ändern, um die kroatische Benachteiligung abzuschaffen (defakto wäre dies aber eine Zementierung der Macht der nationalistischen HDZ). Fast parallel dazu besuchte der serbische Präsident Vucic Bijeljina. Hier wurde die Eröffnung des Autobahnbaus Bijeljina Raca gefeiert und der Tag der serbischen Einheit. Dabei begrüßte Dodik Vucic auf „seinem“ (Vucics) Territorium und dies wurde von ihm nicht zurückgewiesen. Dabei gibt es noch immer eine eindeutige Staatsgrenze zwischen den beiden Staaten. Die Selbstverständlichkeit, mit der die beiden benachbarten Staatspräsidenten Teile Bosniens für sich vereinnahmen ist frappierend und erschreckend. Es scheint zur Normalität geworden zu sein, dass es Risse im Staatsgebilde gibt und die einen Anspruch auf ein Territorium legitimieren. Damit werden Vorstellungen als faktisch dargestellt, die es nicht sind. Aber diese Worte und Gesten hinterlassen Spuren und Gewissheiten, die beängstigend sind.
Es wird wirklich Zeit, Fakten in Richtung Einheit zu schaffen, indem solche Abläufe Konsequenzen nach sich ziehen und man nicht erst auf das Wahlergebnis wartet. Dazu bräuchte es aber einen Zusammenschluss aller Kräfte, die ein vereintes bürgerliches Bosnien möchten. Nicht nur die Parteien, sondern auch Zivilgesellschaft und Firmen müssen an einem Strang ziehen. Denn das Land steht vor den gleichen Herausforderungen wie ganz Europa: Krieg in der Ukraine, erhöhte Energiepreise, Covid-Pandemie, Klimawandel mit Naturkatastrophen, eine schwächelnde Wirtschaft. Hinzu kommt noch spezifisch die Migration.
Es wird höchste Zeit eine gemeinsame Vision zu bilden und zu handeln.
am 11. Juli 2022 jährt sich der Fall von Srebrenica zum 26. Mal. Der Tag ist verbunden mit der Ermordung von 8372 Männern und der Vertreibung der kompletten Bevölkerung – einem Genozid.
Über die äußerst gewaltsamen Ereignisse gibt es inzwischen neben der Dokumentation des Kriegsverbrechertribunals in den Haag, welches die Vorgänge als Genozid definierte, auch viele Bücher und Augenzeugenberichte. Selbst Videoaufnahmen bezeugen das Vorgehen der serbischen Soldaten. Der Film Quo Vadis Aida hat die Abläufe einem breiteren Publikum bekannt gemacht.
Und trotz oder gerade wegen all dieser Dokumentationen und unwiderlegbaren Beweise wird in serbischen Kreisen der Genozid geleugnet. Auf allen Seiten wird Srebrenica politisiert und werden die Hinterbliebenen instrumentalisiert. Gleichzeitig gibt es inzwischen auch gute Initiativen die sich um Versöhnung bemühen.
Seit im letzten Jahr der Damalige Hohe Repräsentant Inzko das Leugnen des Genozids unter Strafe stellte, haben die politischen Spannungen zugenommen. Selbst eine Spaltung des Landes wird nicht ausgeschlossen. Der Nationalismus ist voll entbrannt. Uns so sind dieses Jahr die Provokationen deutlich zu sehen.
Nur zwei Beispiele:
So wurde schon vor einiger Zeit ohne Beweise über „geplante Zwischenfälle“ gemunkelt. Angeblich würden die Gedenkfeiern genutzt, um serbische Ziele anzugreifen. Von der anderen Seite wurde dies als bewusst erfundene selbsterfüllende Prophezeiung abgetan, die genutzt wird, die Gedenkfeiern zu stören.
Am 9.7. tauchen am Straßenrand an der Zugangsstraße nach Srebrenica die Fotos von serbischen Männern auf, die während des Krieges getötet wurden. Für die einen ein legitimes Gedenken, für die anderen eine Provokation. Die Fotos gelten weniger dem Gedenken der Toten, sondern es wird die Menschen, die im Gedenken der toten Familienangehörigen am 11.7. nach Srebrenica kommen, verletzen. Das legitime Gedenken an alle Toten auf allen Seiten wird hier zu politischen Zwecken missbraucht. Tote können nicht gegeneinander aufgerechnet werden.
Auch auf bosniakischer Seite ist der Umgang mit den Opfern von Srebrenica auf politischer Ebene nicht von stillem Gedenken oder einer versöhnenden Aufarbeitung geprägt. Hier werden die Zahlen der Opfer genutzt, um die anderen an den Pranger zu stellen und nicht über eigene Taten zu sprechen.
Die wirklichen Opfer dieses Missbrauchs von allen Seiten sind die Familienangehörigen, die nicht auf ihre Weise trauern dürfen und ist die würdige Erinnerung an die Menschen, die ermordet wurden.
Glücklicherweise entwickeln sich gleichzeitig Initiativen, die nach der Wahrheit suchen. Da sind die Frauen von Srebrenica, die seit 26 Jahren nach den Vermissten fragen, denn noch immer wurden nicht alle Leichen entdeckt. Von einigen Toten wurden nur zwei Knochen in zwei verschiedenen Gräbern gefunden, von anderen nichts. Die Suche geht weiter.
Andere Akzente in Richtung Aufarbeitung findet im Gedenkzentrum (Memorijalni Centar) in Srebrenica statt, welches unter anderem mit dem Zentrum in Auschwitz und anderen internationalen Institutionen kooperiert. Zum dritten Mal wird in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Nachkriegsforschung eine „Schule für junge Menschen“ organisiert. Das Memorijalni Centar soll ein Ort des Gendenkens, ein Museum, ein Archiv werden.
Ebenso führt die Vereinigung YU-Peace jedes Jahr am Meer eine Freizeit für junge Erwachsene durch. Die Teilnehmer:innen kommen aus allen Teilen Bosnien und Herzegowinas, aus Serbien und Kroatien. Sie setzten sich mit den Themen Krieg und Frieden auseinander, treffen Hinterbliebene der verschiedenen Lager, die gemeinsam gegen das Vergessen arbeiten und bilden Brücken über die Grenzen. Während des Jahres treffen sich die Teilnehmer:innen an verschiedenen Orten zu Workshops. So besuchen sie auch Srebrenica und das Gedenkzentrum. Sie haben die Chance, sich ohne Politisierung mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen und für die Zukunft zu lernen.
So wünsche ich den Menschen in dem Land, dass der Fall von Srebrenica zu einem mahnenden versöhnenden Erinnern wird, zu einem Lernen für eine friedliche Zukunft und zu Schritten, wieder gemeinsam zu leben, als Zeichen gegen Nationalismus und Korruption.
Damit könnte Srebrenica einen positiven Impuls für das Land setzen und mitten aus der serbischen Republik ein Ort des Friedens und der Demokratie erwachsen. Wie dringend die Welt dies braucht zeigt der Krieg in der Ukraine.
Bosnien-Balkan-Blog Dieser Blog soll die aktuellen Ereignisse und Entwicklungen in Bosnien und Herzegowina verfolgen, analysieren, kommentieren, bewerten. Ein Blog über Bosnien ist nicht möglich, ohne auch die anderen Balkanländer im Blick zu behalten. Und er ist auch nicht möglich, ohne Bosnien und Herzegowina in Beziehung zur EU und zu Deutschland zu setzen, momentan auch zu Russland und zur Ukraine. Wir vom Verein Zukunft gestalten in Bosnien e. V. werden den Blog selbst gestalten, ab und zu Gastschreiber:innen einladen, mal auf Deutsch, mal auf Bosnisch. Wir haben bewusst auf eine Kommentarfunktion verzichtet. Doch wer etwas zu den Texten sagen möchte, kann uns eine E-Mail schreiben unter: info@zukunft-gestalten-bosnien.de
Blog 1,
25.06.2022
Von damals bis heute
Autorin: Dr. Monika Kleck
Dem Kriegsbeginn in Bosnien und Herzegowina im April 1992, vor 30 Jahren folgten 3 ½ Jahre heftige kriegerische Auseinandersetzungen, unvergessen die Belagerung von Sarajevo, ethnische Säuberungen in Srebrenica, Vergewaltigungslager. Der Krieg wurde durch das Abkommen von Dayton im November 1995 beendet und das Land in zwei Entitäten geteilt, doch die Spuren des Krieges und seine Fortführung mit anderen Mitteln sind immer noch spürbar.
Ab dem Jahr 1996 sah es zunächst so aus, als könnte sich das Land positiv entwickeln. Schritt für Schritt fand ein Wiederaufbau statt, Vertriebene konnten vorsichtig zurückkehren, neue Gesetze wurden eingeführt, es gab gemeinsame Projekte der beiden Entitäten. Teilweise geschah dies auf eigene Initiative der Bewohner:innen und Politiker:innen von Bosnien, sehr oft allerdings auf Druck des Hohen Repräsentanten, der mit den „Bonn Powers“ Politiker:innen, die gegen das Dayton-Abkommen arbeiten, absetzen konnte. Auch wirkten viele ausländische Diplomaten aus der EU und den USA auf Reformen hin. Die Nato-Soldaten der SFOR konnten eigene Drohkulissen aufbauen. Oft fanden jedoch auch schon in diesem Zeitraum Ungerechtigkeiten statt, wenn z. B. Vertriebene in Tuzla aus einer Wohnung geräumt wurden, zugleich nicht in ihre Wohnung in der anderen Entität zurückkehren konnten. Die Verfolgung der Kriegsverbrecher:innen erfolgte langsamer als in Zeitlupe.
2006 scheiterte dann ein Reformpaket, welches Dayton abgelöst und ein Land der Bürger:innen (nicht der Völker) begründet hätte. Auch eine gemeinsame Polizei wurde abgelehnt. Damit platzte eine einmalige Chance, das Land aus dem Griff der ethnischen Aufteilung herauszuführen. Denn neben einem Waffenstillstand hat der Daytonvertrag viele Probleme gebracht: einen sehr komplizierten und teuren Staatsaufbau mit vielen Blockademöglichkeiten, die Aufteilung nach ethnischen Gesichtspunkten, verfrühte Wahlen, den Ausschluss von anderen Ethnien aus Staatsämtern. Die Möglichkeit einen modernen, funktionierenden Staat zu entwickeln, war mit der Ablehnung der Reformen bis heute vertan. In den anschließenden Wahlen kamen wieder die Nationalist:innen an die Macht.
Leider hatte zu diesem Zeitpunkt der damalige Hohe Repräsentant Schwarz-Schilling beschlossen, die „Bonn Powers“ nicht mehr zu nutzen, sondern die Macht den bosnischen Politiker:innen zu überlassen. Parallel dazu wurden die SFOR-Truppen durch kleinere EU-Einheiten ersetzt, und es distanzierten sich die EU und die USA immer mehr von der Balkanfrage. Das Land wurde von der internationalen Gemeinschaft sträflich vernachlässigt.
Und dieses Vakuum und die neue Macht ohne Konsequenzen (es drohte keine Absetzung durch den Hohen Repräsentanten mehr) nutzen die Politiker:innen als neue Freiheiten, um zuerst schleichend und später immer offener das Land zu teilen, ihre Macht zu festigen, Korruption und Nepotismus sowie Parteienherrschaft zu praktizieren.
2008 kam die Finanzkrise, die durch die Regierenden genutzt wurde, um mehr finanzielle Macht zu erhalten und die Bürger:innen stärker auszunehmen.
2014 gab es große Demonstrationen, endlich schienen die Bürger:innen genug von der korrupten Elite zu haben. Es wurden neue Demokratiemodelle ausprobiert. Doch die Überschwemmungen, nur wenige Monate nach dem Beginn der Demonstrationen, führten wieder zurück in die alten Modelle, die jetzt noch fester griffen.
Ab 2020 beherrschte dann COVID 19 die Schlagzeilen und das ausgehöhlte medizinische System hatte dem wenig entgegenzusetzen. Bosnien hat eine der höchsten COVID-19-Sterberaten der Welt.
Und jetzt der Krieg in der Ukraine.
All die Krisen wurden genutzt, um Schritt für Schritt eine alles abdeckende Parteiherrschaft, eine Partiokratie einzuführen. Die Direktorenposten der meisten größeren Firmen, sowieso aller staatlichen Einheiten und Firmen, die Schuldirektor:innen, alle Posten im Bildungswesen, werden unter den Parteien, die an der Macht sind, aufgeteilt und nach Parteibuch besetzt, nicht nach Qualifikation. Es gibt nur noch wenige Nischen, in denen dies nicht der Fall ist, z. B. im Billiglohnsektor oder im NGO-Sektor.
Dies führt etwa dazu, dass im Kanton Tuzla seit den letzten Kantonswahlen im Oktober 2018 in vier Jahren drei Mal die Schuldirektor:innen ausgetauscht wurden (und das während der Pandemie, in der die Bildungspolitik elementar wichtig war).
Dass unter solchen Bedingungen eine Weiterentwicklung kaum möglich ist, ist klar. So wurden von den EU-Anforderungen nur minimalste Schritte umgesetzt.
Hinzu kommt die Aufteilung des Landes in zwei Entitäten. 49 % gehören zur Serbischen Republik, 51 % zur Förderation, die wieder in 10 Kantone aufgeteilt ist. Dann gibt es noch den Distrikt Brčko.
Milorad Dodik, momentan das serbische Mitglied im dreiköpfigen Präsidium, aber auch lange Präsident der Serbischen Republik, arbeitet aktiv an einer Spaltung, unterstützt durch den Präsidenten von Serbien und den russischen Präsidenten Putin.
Dragan Čović, Vorsitzender der kroatischen Partei, will mehr Macht für die kroatischen Mitbürger:innen und vor allem die Chance, selbst zu einem der drei Präsidenten gewählt zu werden und blockiert daher die Wahlen, hat eigene Vorschläge zum Wahlgesetz, die die Teilung noch zementieren würden. Es wird wieder über eine dritte Entität gesprochen.
Die internationale Gemeinschaft ist zerstritten, Russland nimmt andere Positionen ein als die EU oder die USA, es gibt noch weitere Spieler wie China und die Türkei. Die EU und die USA machen oft den Fehler, zuerst mit Kroatien und Serbien zu sprechen, bevor sie auf Bosnien zugehen. Und sehr oft finden die Gespräche mit den Parteiführer:innen statt, nicht mit gewählten Repräsentant:innen. (Auch ein Zeichen für die Stärke der Partiokratie).
So hat Bosnien noch immer keinen Kandidatenstatus für die EU. Mit Enttäuschung und gegenseitigen Vorwürfen wurde auf den Kandidatenstatus für die Ukraine und die Republik Moldau und die Absage an Bosnien reagiert.
Im Juli 2021 nutzte der scheidende Hohe Repräsentant Valentin Inzko seit Langem mal wieder die „Bonn Powers“, um zu verbieten, dass Staatsangestellte den Genozid von Srebrenica leugnen. Dies und der Beginn des Ukrainekrieges haben die politischen Prozesse beschleunigt. Milorad Dodik steuert auf eine Spaltung Bosniens zu, die USA und die EU haben ihr Interesse an der Region wiederentdeckt. Der neue Hohe Repräsentant Christian Schmidt erhält nun öfter den Rückhalt, seine Macht zu nutzen, so hat er zuletzt die Wahlfinanzierung für den Herbst durchgesetzt.
Was machen die Menschen in dem Land? Nach EU Schätzungen verlassen jährlich 55.000 Menschen das Land, in den letzten zwei Jahren eher mehr.
Dabei ist es nicht nur die wirtschaftliche Situation (momentan beträgt der monatliche Warenkorb für eine vierköpfige Familie ca. 2.500 KM/1.250 € und der Durchschnittslohn ca. 1.000 KM/500 €; Bosnien gilt als zweitärmstes Land Europas), sondern vor allem die politische Situation. Es ist kaum noch möglich, ohne Parteibuch einen Job zu finden (s. o.), wenn man eine eigene Firma gründen will, sieht man sich einem Wust von Paragraphen gegenüber, die sich zum Teil widersprechen. Unsinnige Regelungen machen einen legalen Verdienst als Unternehmer:in kaum möglich. Ohne an der Korruption teilzunehmen, stellen sich im Bildungswesen viele Hürden auf, gibt es im Krankenhaus eine unterdurchschnittliche Behandlung, bleibt die Infrastruktur im Ort löchrig und unzuverlässig.
D. h. die Menschen verlassen das Land, weil sie es nicht mehr aushalten. Zurück bleibt eine Generation von alten bis sehr alten Menschen und eine Generation über 50 Jahre, die ihre Kinder ins Ausland schickt. Viele junge Menschen wollen in Bosnien bleiben und Bosnien verändern. Sie engagieren sich, solange sie zur Schule gehen, studieren. Doch kurz nach der Familiengründung, ändert sich die Situation. Inzwischen sind sie als junge Erwachsene an viele Grenzen gestoßen, in der Karriere, bei Gründungsambitionen, im Gesundheitswesen, sie denken über die Zukunft ihrer Kinder nach.
Wenn man diesen Text liest, fragt man sich, warum man in dieses Land noch investieren sollte, wo es Hoffnung gibt?
Dazu gibt es sehr unterschiedliche Antworten.
In dem Land wird sich entscheiden, ob Nationalist:innen endgültig die Macht übernehmen und damit das System auch für andere europäische Länder (mit Unterstützung Russlands und anderer) immer attraktiver wird. Die Frage nach Nationalismus oder Demokratie war auch schon eine Frage zu Beginn des Krieges.
Deutschland hat mit Verantwortung im Krieg übernommen, auch für das Dayton Abkommen. Bisher 2 Deutsche Hohe Repräsentanten spiel(t)en eine wichtige Rolle. Die Menschen in dem Land haben verdient, dass sich die EU wieder kümmert, dass die Verantwortung im Sinne der Bürger:innen und nicht der Politiker:innen ausgeübt wird.
In Bosnien wird sich zeigen, ob Putin erfolgreich weiter spalten kann, oder ob europäische Alternativen gewinnen.
Das sind die politischen Antworten.
Die Menschen in Bosnien haben schon viel Leid erlebt, aber sie haben sich die Gastfreundschaft und eine Offenheit erhalten, die beispiellos ist. Sie hoffen immer noch auf eine europäische Perspektive. In Liedern, Geschichten und Kunst gibt es noch eine gemeinsame Plattform der Auseinandersetzung, die auch für uns wichtig sein kann.
Ganz einfach: Bosnien ist ein europäisches Land mit einer spannenden Geschichte verschiedener Kulturen und kann uns alle bereichern.
In Zukunft wird dieser Blog über verschiedene einzelne Aspekte berichten.
Dr. Monika Kleck lebte und arbeitete von August 1994 bis Oktober 2004 in Tuzla, Bosnien und Herzegowina. Auch heute noch begleitet sie für die Freudenberg Stiftung die Projekte der Bürgerstiftung Tuzla und des Schulentwicklungsvereins MIOS. Ihre Promotion hat sie zum Thema „Krieg und Nachkriegszeit“ über die sozioökonomischen Einflüsse auf traumatisierte Frauen in Bosnien geschrieben. Zur Unterstützung der Aktivitäten in Bosnien gründete sie mit anderen ehemaligen Freiwilligen aus Bosnien und bosnischen Kolleg_innen den Verein „Zukunft gestalten in Bosnien e. V.“ und ist momentan dessen Vorsitzende.
Zukunft gestalten in Bosnien e. V. ist ein gemeinnütziger Verein mit dem Ziel, die Entwicklung von Zukunftsperspektiven, Menschenrechten, Wohltätigkeit und Demokratie in Bosnien und Herzegowina aktiv zu fördern und zu unterstützen. Gegründet wurde Zukunft gestalten in Bosnien e. V. im Jahr 2019 von einer Gruppe engagierter Menschen, die alle eine enge persönliche Bindung zu Bosnien und Herzegowina haben: Wir sind Aktivist*innen, Organisator*innen und Projektleiter*innen in Nichtregierungsorganisationen hier und in Bosnien und Herzegowina, Film- und Foto-Dokumentarist*innen und Teilnehmer*innen in Freiwilligenprogrammen. Spenden: GLS Bank, IBAN: DE 87 430 609 678 244 978 300
Die ersten Jahre nach dem Abkommen erholte sich Bosnien langsam von den Kriegsschrecken, ein Wiederaufbau begann. Doch seitdem im Jahr 2006 die schon beschlossen geglaubte Verfassungsreform scheiterte, nimmt der Nationalismus wieder zu, die wirtschaftlichen Bedingungen werden schlechter, die Parteien greifen auf alle Strukturen zu, Korruption und Nepotismus nehmen überhand. Viele Menschen in Bosnien versuchen, sich diesen Entwicklungen zu widersetzen, doch die Spaltungstendenzen sind momentan stärker als die Versöhnungsbemühungen.