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Vision gesucht

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Zerfällt Bosnien?

Ein Beitrag von Monika Kleck

So lautete in den letzten Monaten die Überschrift vieler Zeitungsartikel.

Kein Wunder, Milorad Dodik, der Präsident der serbischen Republik proklamiert bei jeder Gelegenheit, dass er eine Abspaltung der serbischen Republik plant und danach einen baldigen Anschluss an Serbien. Die kroatischen Seite argumentiert damit, dass sie ständig benachteiligt sei und will eine dritte Entität. (Notiz am Rande: bei der Beteiligung in Ämtern sind die Kroat:innen definitiv nicht benachteiligt)

Aus meiner Erfahrung in Tuzla, einer Stadt in der das Zusammenleben immer noch relativ gut funktioniert, habe ich dies lange als politische Propaganda empfunden.

Diese Jahr dann, als Dodik mit konkreten Abspaltungsschritten begann und Putin eine Spaltung Bosniens als Triumph über den Westen sehen würde, schien die Gefahr auf einmal wesentlich größer und konkreter. Gleichzeitig brachte der Krieg in der Ukraine neue positive Aufmerksamkeit für das Land. Endlich scheint sich die internationale Gemeinschaft wieder zu kümmern. Verschiedenste Staatsoberhäupter besuchten Bosnien und die Region, Dodik wurde in seinen Bestrebungen zurückgedrängt.

Nun stehen Wahlen an. Am 2. Oktober werden die Staatspräsidenten, das Abgeordnetenhaus, die Entitätsparlamente und -präsidenten, die Kantonsparlamente gewählt. Unter diesen Voraussetzungen ist natürlich kein fairer und konstruktiver Wahlkampf zu erwarten. Wie immer geht es nicht um eigene Programme, um Diskussionen von Werten, Aufbau und Entwicklung, sondern nur um den Schutz der eigenen Ethnie, die aufgebauschte Drohung durch die anderen Ethnien, Angstszenarien beherrschen die Szene. Eine Stimme in Bosnien drückte es einmal so aus: „wir haben gelernt, dass unsere Ethnie wichtiger ist als ein EU-Beitritt und fortschrittliche Entwicklung“. Interessant ist, dass es bei den Wahlen 2018 nicht gelang, eine Regierung der Föderation zu bilden, so dass die Regierung aus dem Jahr 2014 noch im Amt ist. Ob es diesmal gelingt, eine tragfähige Koalition zu schmieden, die nicht boykottiert wird, ist äußerst ungewiß.

Dennoch: mit der üblichen alten Wahlkampfmasche und der gleichzeitigen erhöhten internationalen Aufmerksamkeit, war mein Gefühl, dass am Ende nichts passieren wird.

So richtig Nachdenklich gemacht haben mich allerdings die Schlagzeilen der Woche vom 12. – 18.9.2022 . Auf der Einen Seite reiste der kroatische Präsident durch Bosnien und an mehreren Stellen leugnete er in seinen Reden, dass es in Srebrenica einen Genozid gegeben hätte. Gleichzeitig forderte er, dass im Rahmen der EUFOR Mission auch kroatische Soldaten nach Bosnien gesandt werden (dabei waren kroatische Soldaten in Kriegsverbrechen in Bosnien verwickelt). Und immer wieder die Forderung das Wahlgesetz zu ändern, um die kroatische Benachteiligung abzuschaffen (defakto wäre dies aber eine Zementierung der Macht der nationalistischen HDZ). Fast parallel dazu besuchte der serbische Präsident Vucic Bijeljina. Hier wurde die Eröffnung des Autobahnbaus Bijeljina Raca gefeiert und der Tag der serbischen Einheit. Dabei begrüßte Dodik Vucic auf „seinem“ (Vucics) Territorium und dies wurde von ihm nicht zurückgewiesen. Dabei gibt es noch immer eine eindeutige Staatsgrenze zwischen den beiden Staaten. Die Selbstverständlichkeit, mit der die beiden benachbarten Staatspräsidenten Teile Bosniens für sich vereinnahmen ist frappierend und erschreckend. Es scheint zur Normalität geworden zu sein, dass es Risse im Staatsgebilde gibt und die einen Anspruch auf ein Territorium legitimieren. Damit werden Vorstellungen als faktisch dargestellt, die es nicht sind. Aber diese Worte und Gesten hinterlassen Spuren und Gewissheiten, die beängstigend sind.

Es wird wirklich Zeit, Fakten in Richtung Einheit zu schaffen, indem solche Abläufe Konsequenzen nach sich ziehen und man nicht erst auf das Wahlergebnis wartet. Dazu bräuchte es aber einen Zusammenschluss aller Kräfte, die ein vereintes bürgerliches Bosnien möchten. Nicht nur die Parteien, sondern auch Zivilgesellschaft und Firmen müssen an einem Strang ziehen. Denn das Land steht vor den gleichen Herausforderungen wie ganz Europa: Krieg in der Ukraine, erhöhte Energiepreise, Covid-Pandemie, Klimawandel mit Naturkatastrophen, eine schwächelnde Wirtschaft. Hinzu kommt noch spezifisch die Migration.

Es wird höchste Zeit eine gemeinsame Vision zu bilden und zu handeln.

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